Hi,
[Eindruck, daß Neuroleptika dümmer machen]
Post by Bastiaan ZapfDas Erklärt aber nicht, warum
Psychotiker "mit der Zeit blöde werden" - bei Psychosekranken ist der
Effekt drastisch, aber langfristig (Jahrzehnte) und tritt meines Wissens
nach auch ohne Krankenhausaufenthalt auf.
Solche Urteile sind mit mancherlei Unsicherheiten behaftet, als da
wären:
'Lehrbuchwissen' scheitert häufig an der Realität, da letztere
sich nur ungern in Lehrbuchform abilden läßt.
Psychopathologische Diagnosen sind unsicher. Sie sind nachweislich
subjektiv und um so wertloser je komplexer die in Frage stehende
Störung ist. Psychosen können Bestandteile sehr komplexer Störungen
sein, und der sogenannte Fachmann hat in der Regel weder Zeit noch
Lust sich in komplexen Fällen ein differenziertes Urteil oder auch
nur einen Überblick zu verschaffen. Gleichzeitig stellt sich dann die
Frage, ob 'Psychose' überhaupt ein relevantes Kernsymptom bei einem
bestimmten Patienten ist. Auf jeden Fall macht es keinen Sinn vom
konkreten Fall zu abstrahieren. Ich möchte daher mal anders
formulieren:
Auch ich kenne Fälle, bei denen ich den Eindruck habe, daß die
Einnahme von Neuroleptika dümmer gemacht hat. Ob jeweils eine
Psychose vorlag, ist Glaubensfrage. Es gibt jeweils Befunde dafür und
dagegen.
In der Regel möchten Krankenhäuser unbedingt eine Schizophrenie
diagnostiziert
sehen, während der ambulante Gutachter in der Regel ebendieses
kategorisch
ausschließt. Eine Argumentation der Form: Diese Person wurde dümmer,
weil sie eine Psychose hatte, scheint in so einem Fall also nicht
unbedingt
weiterzuhelfen, oder?
Stattdessen kann ich auch meinen gesunden Menschenverstand einschalten
und etwa feststellen, daß eine bestimmte Person früher sehr kreativ
und
einfallsreich war, davon aber nach längerem hochdosierten
Neuroleptikagebrauch
nichts mehr zu sehen ist. Sollte das nicht mit dem Wirkungsprofil von
Serotoninantagonisten vereinbar sein? Wenn ich dann noch Hinweise auf
ein
Parkinsonoid mit massivem Rigor, medikamenteninduzierte Depression und
weiß der Geier noch alles habe, meine ich schon begründen zu können,
daß
Neuroleptikagebrauch diese Person dümmer gemacht hat. Insbesondere
dann,
wenn sich die Symptome bessern, wenn man das Neuroleptikum wechselt
und
das neue in untertherapeutisch, nicht antipsychotisch wirksamer Dosis
verabreicht. Aber dieses Glück muß die Person erst mal haben, daß die
Interpretationshoheit der Schizophreniefanatiker in den Krankenhäusern
gebrochen und zum Wohle des Patienten alternative Deutungen möglich
werden.
Lehrbücher interessieren sich nicht für das Wohl des Patienten (eines
Individuums!),
sondern sie bezwecken die Etablierung einer Ordnung, und Ordnung
bedeutet
Macht über Individuen, sie delegieren die Verantwortung der
sogenannten
Fachleute auf ein abstraktes System, das im Hinblick auf seine
Realtitätsnähe
oft keinen Pfifferling wert ist. Und was sollte eine junge
Assistenzärztin etwa
sonst auch machen, angesichts eigener Unbedarftheit und
erkenntnistheoretischer
Unterbelichtetheit sowie mangelnder Ressourcen dankbar alles an das
Lehrbuch
zu delegieren? Zumal Selbstständiges Denken und Handeln unter der
ständigen
Bedrohung jurstischer Sanktionierung steht.
Langer Rede kurzer Sinn: Wenn andere Personen nach ihrem Augenschein
den Eindruck gewonnen haben, daß Neuroleptika jemanden dümmer gemacht
haben, dann sollte man sich bewußt sein, daß die Negierung dieser
Behauptung
mit Verweis auf irgendwelche Lehrbuch-Standardfloskeln nicht den
Schein
von Objektivität oder Wissenschaftlichkeit rechtmäßig für sich
beanspruchen
können.
Freundliche Grüße
Felix